19. Juli 2005, Neue Zürcher Zeitung




Spiellust der Band, Euphorie des Publikums

U2 begeistert im Stadion Letzigrund



gz. Das Konzert von U2 im Letzigrundstadion hat einmal mehr einige Aufregung ausgelöst. Nicht wegen der Billettpreise von bis zu 176 Franken, denn die 44 000 Plätze waren innert 40 Minuten ausverkauft. Auch nicht, weil die Meteorologen Gewitter, Sturmböen und Hagel voraussagten - das sind sich die Fans von den Open Airs her gewohnt; und nach dem Auftritt der Vorgruppe Feeder hörte es zu regnen auf. Auftritte der irischen Band versprechen vielmehr ein besonderes Erlebnis, weil sich U2 nicht mit dem Zelebrieren ihrer Klassiker begnügt. Die vor fast 30 Jahren gegründete Gruppe erfindet sich zwar nicht neu, doch weiss sie ständig prägnante neue Facetten in ihren unverkennbaren Sound zu schleifen. Und das Konzert bestätigt, dass sie sich live mit einer gewissen Unberechenbarkeit bei der ständig wechselnden Stückauswahl und den wandelnden Interpretationen immer wieder künstlerisch zu stimulieren versteht, was neben dem Risiko auch magische Momente in sich birgt.

Am Montagabend bestätigt U2 im Letzigrundstadion den Kurs zurück zu ihren hymnischen Rocksongs der frühen achtziger Jahre. Während die zeitgeistig mit Elektronik flirtenden Songs der neunziger Jahre kaum zum Zug kommen, fügen sich die neuen Stücke der letzten beiden Alben bestens unter die alten. U2 reisst das Publikum gleich mit dem ersten Stück, «Vertigo» vom neuen Album «How To Dismantle An Atomic Bomb», aus der Reserve. Nach diesem typischen Stadionrocksong springt das Quartett dann 25 Jahre zurück und spielt «I Will Follow» vom Débutalbum «Boy» - was bezeichnenderweise kaum auffällt. Denn es enthält schon alle typischen Elemente seines unverkennbaren Sounds und beweist damit seine frühe Reife. Grosse Teile des Publikums klatschen nun mit, schreien «Elevation», singen bei «I Still Haven't Found What I'm Looking For» lauthals weiter, nachdem die Band zu spielen aufgehört hat.

Vor dem neuen Stück «Miracle Drug» lobt Sänger Bono Vox die schweizerischen Innovationen im Bereich der Medizin, gibt aber zu bedenken, dass sich viele Leute aus armen Ländern diese nicht leisten könnten. Weitere politische Statements folgen, aber er verstärkt sie nicht wie früher mit dem moralischen Mahnfinger des Predigers, sondern lässt die Worte einfach ausklingen, was tosenden bestätigenden Applaus zur Folge hat. Der für einen Schuldenerlass zugunsten der ärmsten Länder engagierte Sänger gefällt sich trotzdem noch immer in den Posen des Popstars und geniesst auf dem weit ins Publikum hinausragenden Laufsteg die Nähe zu den jubelnden Fans. Denn U2-Konzerte sind immer noch eine Mischung aus «politischer Veranstaltung, Kirchenzelt und Las-Vegas-Show», wie der Sänger einmal erklärt hat. Die Show ist diesmal allerdings auffallend schlicht ausgefallen. Hatte U2 1997 den grössenwahnsinnigen «Supermarkt Pop» noch zynisch ausgelebt und zugleich kritisiert, so konzentriert sie sich wieder auf die Musik: Statt gigantischer Showelemente schafft eine Wand aus 10 000 Lichtern ein dezentes Ambiente und dient zugleich als raffinierter Bildschirm. In der zweiten Hälfte des über zweistündigen Konzertes folgen zunehmend ältere Hits wie «Sunday Bloody Sunday», «Bullet The Blue Sky» und «Pride (In The Name Of Love)», die für weitere magische Momente sorgen.

Zürich, Stadion Letzigrund, 18. Juli